Während Männer vom alten Rom träumen, rechtfertigen Frauen Spontankäufe mit #girlmath. Lachen wir jetzt wieder über Geschlechterstereotype?
Lange aus, die Zeit in der man in guter Gesellschaft noch über gender-spezifischer Witze lachte, nicht wahr? Alles Klischees, durchgekaut, überholt, ausgedient. Im Zeichen des guten Geschmacks, macht man sich höchstens noch über sich selbst lustig, sowieso, wenn man ein „alter weißer Mann“ sein sollte.
Und doch, beginnt jetzt gerade die jüngste Generation auf Tiktok wieder damit in Geschlechterschubladen zu unterteilen. Zuletzt etwa im Fall von #Girlmath. Ein Beispiel für die verquere Logik hinter dem Trend: Wenn ich heute kein Geld ausgebe, habe ich dann morgen das doppelte Budget zur Verfügung? Und wenn ich mir etwas im Onlinehandel bestelle, es dann zurückschicke und das Geld rückerstattet wird, habe ich dann nicht eigentlich Geld verdient? Die Kolleginnen im Wirtschaftsressort können da nur die Nasen rümpfen. Mit Augenzwinkern machen sich da junge Frauen darüber lustig, wie sie sich finanzielle Ausgaben vor sich selbst rechtfertigen. So ist etwa ein Kleid um 300 Euro teuer, wenn ich es aber 30 Mal trage, hat es nur jeweils zehn Euro für jedes Ausführen gekostet.
Typisch für Social Media lässt eine Reaktion nicht lange auf sich warten. Nur, dass die Entsprechung für das männliche Geschlecht kritischer ausfällt. „Boy Math“ sei etwa in 0,0066 eines Bitcoins zu investieren und sich als „Crypto-Investor“ aufzuspielen. Oder „Boy Math“ sei auch das eigene Alter durch zwei zu teilen und sich in dem Alter eine Partnerin zu suchen. Oder auch keine Kinder haben zu wollen, und trotzdem kein Kondom dabei zu haben. Oder Angst vor Frauen zu haben, die sich nur des Geldes wegen mit einem einlassen, obwohl man eigentlich gar kein Geld besitzt.
Es ist nicht der erste Trend in den letzte Monaten, der in Anlehnung an Geschlechterstereotype funktioniert. So hielt sich auf Social Media das #GirlDinner hartnäckig über Woche als Trend, wo Frauen ihr hübsch auf ein Teller drapiertes Abendessen präsentierten. „Lazy girl jobs“ sind laut Influencerinnen wiederum Berufe, in denen man sich ein leichtes Leben für annehmbare Bezahlung machen kann. Und zuletzt beschäftigte man sich auf TikTok und Co. mit männlichen Tagträumereien rund um das römische Reich.
Augenzwinkern hin oder her, ruft diese Art von Humor doch alte Stereotype wieder aufs Tapet. Die Frau, die nicht mit dem Taschenrechner umgehen kann und doch nicht aufhört zu shoppen, der Mann, der unverantwortliches Sexualverhalten an den Tag legt und lieber Gewaltfantasien im Kolloseum ersinnt. Ist das nicht ein regressives Verständnis von Geschlechteridentitäten? Ein Rückschritt? Wasser auf den Mühlen derer, die genau diese Stereotype bestätigt haben wollen?
Ganz stimmt das so nicht. Viel (selbst-)ironischer ist der Umgang mit der geschlechtlichen Rollenverteilung, viel größer das Bewusstsein dafür, dass sie uns gesellschaftlich anerzogen wurden. Und mindestens genauso schnell wie sie entstehen, werden die Trends hinterfragt, umgekehrt und öffentlich zerpflückt. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität fällt dynamischer aus. Man darf nicht nur wieder über geschlechtsspezifische Muster lachen, man will und muss sogar.
Author: David Parker
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